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Quellenschutz inklusive

Warum Informanten dem Investigativressort vertrauen.

Von Ralf Wiegand

Die derzeit neun Redakteurinnen und Redakteure im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung arbeiten vor allem mit zwei Faktoren. Der eine ist: Zeit. Im Journalismus hat Zeit ja eine ganz besondere Bedeutung, naturgemäß hat man davon immer zu wenig. Die Nachrichtenwelt, diesen Eindruck gewinnt jeder, der Nachrichten konsumiert oder sie macht, scheint sich immer schneller zu drehen. Was eben erst passiert ist, verbreitet sich im nächsten Moment schon rasend schnell um den ganzen Globus. Die SZ ist mit ihren verschiedenen Ausspielkanälen ebenso fast schon ein Echtzeitmedium geworden, die Homepage wird 24 Stunden lang aktualisiert. Zeit bedeutet hier vor allem: Schnelligkeit.

Die „Investigativen“ genießen aber den Luxus, Zeit ganz anders zu interpretieren. Bei ihrer Arbeit geht Genauigkeit vor Schnelligkeit, eine Geschichte ist erst dann fertig, wenn sie fertig ist. Manche Recherchen, journalistische Tiefenbohrungen, die den Kern einer Sache ans Licht befördern sollen, können manchmal Monate dauern. Investigative Journalistinnen und Journalisten  brauchen diese Zeit, um alle Fakten für eine Recherche zu finden und sie danach auch auf Richtigkeit zu prüfen. Die Chefredaktion weiß, dass ihr kleines Exotenressort im 24. Stock des SZ-Hochhauses bisweilen auf Tauchstation gehen muss, weil es gerade dabei ist, etwas herauszufinden.

Das führt direkt zum zweiten Faktor, der so wichtig ist im investigativen Journalismus: Vertrauen. Die SZ-Chefredaktion, glücklicherweise durch die Bank sehr interessiert an tiefgehenden Recherchen, vertraut ihrem Ressort, dass es fleißig vor sich hin werkelt – auch wenn es sich hinter verschlossenen Türen verbarrikadiert hat und auf den Fluren des Verlagsturms kaum zu sehen ist. Und diese Akribie ist es auch, auf die sich Informanten verlassen können, die sich mit Hinweisen, Dokumenten, Schicksalen ans Investigativressort wenden.

Informanten wenden sich mit einer brisanten Sache oft ganz bewusst an Journalisten, weil sie anderen Institutionen eben nicht vertrauen. Whistleblower, ob aus der Politik, der Wirtschaft oder der Gesellschaft (etwa im Bereich von MeToo) fürchten oft zu Recht, dass die Missstände, auf die sie gestoßen sind, lieber unter den Teppich gekehrt würden – und sie selbst als vermeintliche Nestbeschmutzer persönliche Nachteile erleiden könnten. Von Medien erwarten solche Informanten daher oft zweierlei: dass ihre Informationen ernstgenommen werden, und dass sie als Quelle geschützt werden, falls sie das für nötig halten. Beides gewährleistet investigativer Journalismus, der den Schutz von Quellen und Informationen als § 1 Absatz 1 seines Grundgesetzes definiert hat. Nichts ist es wert, auch nicht die beste Geschichte, eine Quelle zu gefährden. Daher laufen alle Recherchen, Prüfungen, Anfragen, jeder Kontakt im Investigativen unter dieser Prämisse: Niemals darf ein Informant, eine Informantin identifizierbar werden, wenn diese das aus guten Gründen nicht möchte.

Zu diesem Zweck hat die SZ verschiedene Kommunikationswege geschaffen, etwa einen sicheren Briefkasten (Secure Drop), über den uns Hinweis­geber vollkommen anonym und ohne Spuren im Netz zu hinterlassen Daten oder Dokumente zusenden können. Das System ermöglicht dennoch, mit der Quelle in Kontakt zu bleiben. Weil diese Art der Kommunikation auf Dauer technisch etwas aufwendig ist, verwenden alle Redakteurinnen und Redakteure im Investigativen der SZ für den schnelleren Austausch sichere Messenger wie Signal oder threema oder E-Mail-Anwendungen wie Proton. Übermittelte Daten schützen wir auf eigenen Servern, niemals geben wir Informationen an Dritte – auch nicht an Strafverfolgungsbehörden.

Nur weil Tippgeber darauf vertrauen können, sind große Recherchen möglich gewesen – zum Fall von Wirecard etwa, zum Dieselskandal bei VW und Audi oder die großen Leaks aus Steueroasen, die Staaten auf der ganzen Welt ermöglichten, ihnen vorenthaltene Einnahmen wieder zurückzuholen. Bis heute etwa ist die Identität der Person hinter den Panama Papers nicht bekannt geworden – obwohl mehr als 400 Journalistinnen  und Journalisten weltweit auch sechs Jahre nach der Übermittlung der Daten aus einer panamaischen Anwaltskanzlei mit dem Material arbeiten.

Vertrauen in den Quellenschutz ist die Basis von allem im Investigativen – auch wenn aus Sorge mal eine Geschichte, die schon fertig ist, deswegen nicht gedruckt wird. Dann müssen wir eben versuchen, sie noch sicherer, noch besser, noch genauer zu machen. Das wiederum kostet Zeit – aber die, siehe oben, haben wir ja zum Glück. 

Ralf Wiegand

Seit 2022 Ressortleiter Investigative Recherche (seit 2016 Redakteur im Ressort). 1997 Eintritt in die Sportredaktion der SZ, 2003 innenpolitischer Korrespondent in Hamburg, 2013 Teil des Entwicklungs­teams der SZ am Wochenende und Redakteur.